DR.PHIl.I
KUNST- UND ARCHITEKTURHISTORIKERIN
AUTORIN
Kunst der Vorzeit — Felsbilder der Frobenius-Expeditionen

Rund 120, teils überdimensionale Abzeichnungen von originalen Felsbildern gewähren einen Blick auf die menschliche Gestaltungskraft und verändern unser Bild von prähistorischer Kultur fundamental. Ihr bedeutender Einfluss auf die Avantgarde beleuchtet die Ausstellung mit Leihgaben aus dem Zentrum Paul Klee.

 

Überwältigt steht die Betrachtende vor den gigantischen, meist erdfarbenen Felsbildkopien. Wir erkennen Prozessionen, Jagd- oder Herdenszenen, Büffel, Giraffen, Elefanten, tanzende, schwebende oder schwimmende Menschen, sowie rätselhafte, abstrakte Konfigurationen. Manche Darstellungen sind auf Silhouetten oder «Strichmännchen» reduziert, andere zeigen mythische, maskierte Wesen.

Fotografien in der vom Frankfurter Frobenius-Institut übernommenen Ausstellung zeigen vor allem Malerinnen auf Leitern hoch in Felswänden, die unter schwierigsten Bedingungen versuchten, Fels- und Höhlenmalereien aus 40 Jahrtausenden möglichst originalgetreu zu kopieren. Sie waren vom bekanntesten deutschen Ethnologen seiner Zeit, Leo Frobenius (1873-1938), als Kopisten engagiert und begleiteten diesen zwischen 1913 und 1937 auf seinen zahlreichen Forschungs-Expeditionen. Frobenius hat die Felsbilder der Sahara, des südlichen Afrikas und Australiens sowie Neuguineas, zudem aus Spanien, Südfrankreich, Italien und Skandinavien überhaupt zum allerersten Mal dokumentiert und bekannt gemacht und die weltweit bedeutendste Sammlung dieser Kopien angelegt.

Die australische Felskunst ist nicht nur die älteste der Welt, sondern die Tradition wird fortgeführt, insbesondere im Kimberley, dem Gebiet der «Wanjina Wunggur», einer Aborigines-Gemeinschaft. Hier werden ihre mythischen Figuren tradiert, als übernatürliche Wesen im Sinne des Animismus erlebt, die sich mit den Indigenen fundamental verständigen.

Die Felsbildkopien wurden dank Ausstellungen durch Europa und den USA, wie im MoMA 1937 breit rezipiert und gerieten ab den 1960er-Jahren zunehmend in Vergessenheit. Grund dafür war die Farbfotografie wie auch der Vorwurf der «persönlich gefärbten» Wiedergabe der Künstlerinnen.

Mithilfe von Leihgaben aus dem Zentrum Paul Klee beleuchtet die Ausstellung die intensive Rezeption prähistorischer Kunst durch die Protagonisten der Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Sie belegen, dass sie in ihrer unnachahmlichen Ausdruckskraft für Künstler wie Klee, Miró und Masson, Giacometti oder Pollock eine wesentliche Inspirationsquelle darstellten. Durch ihre Wirkungsgeschichte bilden diese originalen Bildkopien einen Teil der Kunstgeschichte mit ihrer Rezeption, der gestalterischen Besonderheiten und der soziologischen Bedeutung. Indem die Felsbilder mit uns kommunizieren, vermögen wir ihre Urheber und deren Welt zu verstehen. Zu Recht bezeichnete Leo Frobenius den Blick auf prähistorische Felszeichnungen als «Blick in ein Bilderbuch der Menschheitsgeschichte».

Museum Rietberg, Zürich. Bis 11. Juli 2021. Katalog, Prestel-Verlag     www.rietberg.ch