DR.PHIl.I
KUNST- UND ARCHITEKTURHISTORIKERIN
AUTORIN
Eberhard Ross — Refugium

Es ist, als würde man in einen farbigen, baumumstandenen Weiher eintauchen, an dessen Oberfläche sich die Wellen sanft kräuselten und zarte Klänge würden von weither ertönen. Man entstiege nach einiger Zeit dem Wasser und fühlte sich gestärkt und voller Energie. Die Farbräume von Eberhard Ross versetzen ihre Umgebung in klingende Vibrationen. In den Bildmitten erstrahlen die Farben, um sich gegen die Bildränder hin abzudunkeln. Man ist geneigt, in der Betrachtung innezuhalten, dem Farbklang nachzuspüren, so als wäre die Malerei Musik. Deshalb ist auch der in der Musik verwendete Begriff <fermata>, so auch der Titel einer Serie, äusserst passend als ein Ruhezeichen, bei dem ein Ton über seinen Notenwert hinaus gehalten wird. Für dieses musikalische Phänomen fand Ross eine bildnerisch adäquate Umsetzung. Die schräg abgeschnittenen, orangefarben bemalten Keilrahmen reflektieren auf die Hängefläche und umgeben die Bilder einer leuchtenden Gloriole gleich.

Kürzlich sagte ein Forscher des Max Planck-Institutes zu Eberhard Ross, dass Aufnahmen von Mikroorganismen unter dem Elektronenmikroskop so aussehen würden wie seine Bilder. Diese Aussage ist keineswegs aus der Luft gegriffen, ist doch Ross schon seit langem den Prozessen der Natur, ihrem Wachstum und ihren Rhythmen auf der Spur. Er erkundet sie, übersetzt sie auch mit Unterstützung wissenschaftlicher Institute in Kunst. Gemäss seiner Aussage fängt er an zu verstehen wie die Natur arbeitet. Er interessiert sich insbesondere für die Systematik der Natur, die er in einem teils mimetischen Vorgang in eigene Bildrhythmen übersetzt. Meist trägt er sechs bis sieben Farbschichten auf. In die oberste noch feuchte Ölfläche ritzt der Künstler winzige kringelförmige Linien in einem oft lange dauernden, ununterbrochenen Prozess angesichts der rasch trocknenden Farbe. Durch die zeitintensive und meditative Malweise erzielt Ross Farbwirkungen von einer unvergleichlichen Leuchtkraft, einem zarten Flirren und melodisch pulsierenden Klängen. Eine Wirkung, die an Monet denken lässt. Das neueste Werk <On the nature>, 2019, weist keine Linien mehr auf. Wie bei einer Überbelichtung scheint sich die Farbe hier völlig aufzulösen. Das in einem blauen Pastellton gehaltene Quadrat gewinnt vor dem hellen Hintergrund eine ungewöhnliche Zartheit, Leichtigkeit und Transparenz. Die konsequente Reduktion fesselt das Auge. In einer Zeit der Reizüberflutung ist eine solche Zurückhaltung ungeheuer wohltuend und ebenso mutig.

Art Forum Ute Barth, Zürich, Eberhard Ross – Refugium, bis 18.5.      www.utebarth.com