DR.PHIl.I
KUNST- UND ARCHITEKTURHISTORIKERIN
AUTORIN
Werner Bommer

Werner Bommer liess und lässt sich nicht vom Vorurteil blockieren, dass man sich Galeristen nur schwerlich als Kunstschaffende vorstellen kann. Selbstverständlich sind die Einflüsse nach mehreren Jahrzehnten Galeriearbeit und Beschäftigung mit den internationalen Kunstströmungen unvermeidlich — aber auch nicht stärker als bei Kunstschaffenden mit «traditionellem» Werdegang, besonders, wenn man bedenkt, dass kein künstlerisches Schaffen ausserhalb ideeller, historischer und kunsthistorischer Einflüsse steht.

 

Das Rüstzeug zum Kunstschaffen erwarb er sich an der Hochschule für Gestaltung Basel, wo er 1974 das Zeichnungslehrerdiplom absolvierte. Während seiner Ausbildung beschäftigte er sich mit kompositorischem Bildaufbau, gestalterischen Prozessen und räumlicher Darstellung. Gleichzeitig entwickelte sich sein Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Ausdrucksvermögen. Dank seiner Neugierde für visuelle Erscheinungsformen und seinem kunsthistorischen Grundwissen konnte er sein Auge für künstlerische Potenziale, für kompositorische Finessen und verschiedene Zeichen- und Maltechniken sowie ein Farbenbewusstsein schärfen. Das ungestüme Kunstgeschehen in den Sechziger- und Siebzigerjahren boten ihm vielfältigste Inspirationen, zumal um 1970 der Wandel mit Vertretern einer Neuen Abstraktion und einem wieder erwachten Interesse an der Zeichnung schon in vollem Gang war. Markiert wurde dieser Umbruch mit Harald Szeemanns legendärer Ausstellung «When attitudes become form» in der Kunsthalle Bern 1969. In diesem Umfeld wurde Werner Bommer vom amerikanischen Expressionismus mit seinen Drippings geprägt. Er malt bald figurative, bald abstrahierte Stillleben, Landschaften, Naturstücke und Architekturen.

 

Raumgefüge

 

Mit den «Raumgefügen»  macht sich eine zunehmende Abstraktion breit, die ihm erlaubt, sich der reinen Malerei hinzugeben. In der flächigen Zweidimensionalität erzeugt Bommer mit linearen Gefügen eine Raumillusion. Darin klingen die berühmten «Ocean-Park-Bilder» von Richard Diebenkorn (1922-1993) an. Gegenständliches wie Luftbilder und vielleicht den Ausblick aus dem Atelierfenster transformierte da Diebenkorn in reine Raumgefüge aus Rhythmen, Linien und Farbfeldern sind. Der US-amerikanische Maler hat Bommer im Bestreben beeinflusst, eine Fläche mit rein bildnerischen Mitteln zu gestalten. Entsprechend bildet ein Industriegebäude oder ein gemaltes Wohnhaus auf Glas für Bommer lediglich einen Vorwand, um geometrische Flächen nebeneinander- oder neu zusammenzusetzen und Räumlichkeit zu erzeugen. Trotz der Abstrahierung atmet das «Wohnhausfassade», 2019, mit den starken Türkis-, Blau- und Rottönen eine südländische Atmosphäre. In einer Reihe von «Overviews» von 2008/09 bestimmen farbig bemalte Flächen, Hell-Dunkel-Kontraste und Licht-Schatten-Phänomene das Bildgeschehen. Der fragmentarische Blick und die Vogelperspektive lassen die Arbeiten abstrakt wirken und erzeugen zugleich eine starke physische Präsenz, welche auch die Malereien auf oder hinter Glas auszeichnen. Hier entsteht mit dem Pinselstrich, respektive der persönlichen Handschrift ein neues Gestaltungsmittel. Während der Duktus auf der kompakten Leinwand oft durch Übermalung bedeckt wird, bleibt die Spontaneität bei der Hinterglasmalerei sichtbar, weil die erste aufgetragene Farbspur beim fertigen Bild die vorderste ist, also unmittelbar durch das Glas sichtbar bleibt.

 

Bald lässt der Künstler die Farbe als bildkonstituierende Kraft fliessen, bald macht er bewusste Eingriffe und integriert etwa figurative Versatzstücke. Die Farbpalette hellt sich auf und huldigt zunehmend dem Licht. Verfinstern anfänglich dunkeltonige Balken den Raum (Nr. 286 und 287), scheint andernorts mildes Licht durch ein Fenster und lässt den Raum weit werden (Nr. 285). Besonders die letzten abstrakten Malereien auf Glas zeigen wogende Farbflüsse, welche von Licht durchdrungen sind. Während florale Motive den Blick für organische Wachstumsformen und rhythmische Prozesse der Natur sensibilisieren, thematisieren Bäume Verflechtungen und Netzwerke.

 

Spannungsvolle Verbindungen zwischen Fotografie und Malerei

 

Die neuen Werke sind durch fotografische Fragmente charakterisiert. Seit geraumer Zeit ist Werner Bommer von den spannungsvollen Verbindungen zwischen Fotografie und Malerei fasziniert. Angetrieben von den Fragen, «was überhaupt ein Bild ist» und «ab welchem Zeitpunkt es funktioniert», wollte er wissen, auf welche Weise die Fotografie Malerisches zu verstärken vermag. Mit Vorliebe fotografiert Bommer Luftbilder, Wasser, Spiegelungen, Schatten, Bäume, Stadtpläne und Gitterstrukturen. Diese Fotosujets, die als Auslöser fungieren, verwendet Bommer als Bildgestaltungselement. Teilweise koloriert und übermalt er die Fotografien und transformiert sie so in Malerei, so, wenn wie in Bild Nr. 216 das Original in helle und dunkle Schichten umgesetzt ist. Das mit dunkelroten Tönen, in heftigem Duktus ausgeführte Bild Nr. 235 geht aus einer Fotografie hervor, die Bommer im Fotoshop verändert, auf Glas ausgedruckt und wieder übermal hat. Diese Komposition fotografiert Bommer wiederum, um die Fotografie wieder zu übermalen und das Bild wiederum zu fotografieren. Das Hin- und Herswitchen zwischen den beiden Medien führt zu einer Synthese und erzeugt eine eigene, luftig-fliessende, dynamische Handschrift.

Mittels der Copy-Paste-Methode nimmt Bommer realistische Elemente auseinander und setzt die kopierten Teile unabhängig von den Motiven in einen neuartigen Zusammenhang. Eine solche Komposition kann abgesehen von partiellen Naturmotiven, wie etwa einem Ast, ungegenständlich daherkommen, wie in Bild Nr. 249. Andernorts führt die Fotografie eines Treppengeländers zu einer Komposition, die von einer Gitterstruktur, so Bild Nr. 231, oder einem Fenster, Nr. 270, dominiert wird.

Einmal ist ein Werk gegenständlich, ein anderes Mal drängen sich lediglich Realitätsfragmente in den Vordergrund, dann wieder löst es sich völlig auf. Zuweilen ist der Künstler selbst über seine Bildlösungen überrascht, besonders auch, wenn er mit Collagen arbeitet. Die Fragestellungen Bommers — das Ausreizen des Potenzials der Fotografie und ihrem Spannungsverhältnis zur Malerei, ebenso die Fragen zu der Darstellung von Räumlichkeit im zweidimensionalem Bild, der Beziehung zwischen Figur und Grund sowie das Spiel mit unterschiedlichen Bildebenen — sind auch in der jüngeren Gegenwartskunst wieder häufig anzutreffen, beispielsweise bei Kyra Tabea Balderer.

 

Das bildnerische Ergebnis lässt den vermeintlichen Realitätsbezug der Fotografie hinter sich und verweist darauf, dass jede Abbildung der Realität Abstraktion und Interpretation derselben ist. So zielen die Arbeiten von Werner Bommer auf die Akzeptanz des Bildes als autonomes Gegenüber, wobei sein Interesse der Oberfläche gilt. Dazu gehört, dass die Farbe, nicht in erster Linie Form generiert, sondern ihre eigene Farbräumlichkeit entwickelt. Dies sucht der Künstler durch die natürliche Strahlkraft der Farbpigmente zu erreichen. So erwächst den farbintensiven, bald räumlichen, bald flächigen Arbeiten eine ungeheuer starke haptische Präsenz. Dennoch gerinnt der Farbraum in den jüngsten Malereien auf Glas zur Metapher des Geistraums, was nicht zuletzt mit einer nicht-hierarchischen Komposition ohne Zentrum erzielt wird.