Die libanesische Künstlerin Simone Fattal spannt in ihren Werken einen Bogen von prähistorischen Zeiten zu gegenwärtigen Sehnsüchten, auch spiritueller Natur. Die retrospektiv angelegte Ausstellung zeigt die Stadien eines ungeheuer reichen Lebens, das mit der verlorenen Geschichte ihres Landes verwoben ist.
Eher glaubt man Zeugnisse einer archäologischen Ausgrabung vor sich zu haben als kürzlich entstandene Keramikfiguren. Eine Sirene in zarten Türkistönen, ein bronzener, kriegerisch wirkender Engel, ein Kentauer, eine hellgelbe Wächterfigur und ein Totem. Die meisten fallen durch säulenähnliche Beine auf. Diese mythologischen Darstellungen hängen mit Simone Fattals (*1942, Damaskus) Auseinandersetzung mit der Wiege unserer Zivilisation im einstigen Sumer, im heutigen zerstörten Syrien zusammen. Die chthonischen, also erdgebundenen Figuren kontrastieren mit luftig-leichten, in den Siebzigerjahren entstandenen Malereien. Drei Gemälde zeigen den Gipfel von Mount Sannine in Beirut, der in abstrahierten Konfigurationen eingefangen ist, die bald goldgelb leuchten, bald in dunkeltonigen Farben Düsternis verbreiten. Dagegen wirkt das abstrakt-figurative <Histoire de L’oeil>, 1970, dank seinen dynamischen und ornamentalen Schlenkern als ein Vorbote von <Nour Ala Nour> oder <Illuminated Letters>, beide 2008. Auf vulkanischem Lavastein sind schwarze Oxidworte in arabischer Kalligraphie gemalt. <Nour Ala Nour> ist ein Vers aus dem Koran und heisst übersetzt «Licht auf Licht». Das Bild drückt Simone Fattals Passion für die Mystik der Sufis aus, welche für ihre Arbeit wesentlich ist.
Die im Libanon aufgewachsene Simone Fattal studierte Philosophie in Beirut und anschliessend an der Sorbonne, Paris. 1969 kehrte sie nach Beirut zurück, begann mit der Malerei und beteiligte sich an zahlreichen Ausstellungen. 1980 floh sie vor dem Bürgerkrieg und wanderte nach Kalifornien aus. Dort gründete sie die Post-Apollo Press, die sich der experimentellen Literatur widmet. Sie ist die Lebensgefährtin von Etel Adnan, einer libanesischen Malerin, Schriftstellerin und Philosophin mit einem ähnlich wechselvollen Leben und bekannt für ihre wunderbaren, abstrakten und lyrischen Werke.
Die Arbeit mit Aquarellen seit den Siebzigerjahren ermöglicht Simone Fattal, in die entschwundene Welt von Damaskus und Beirut einzutauchen. Bilder von bunten Blumen und Gärten, abstrahierten Früchten oder lebhaften, biomorphen Formen evozieren Paradiesvorstellungen, wie sie im Koran beschrieben sind, während dunkeltonige abstrakte Werke von Traurigkeit, Kummer und Leid sprechen. Die Bilder als auch die Skulpturen reflektieren die libanesische Kultur im Dialog mit Kriegserzählungen, Erinnerungen und Spiritualität. Sie lassen den Fluss der Geschichte als Ganzes verstehen, um mit einem Diktum der Künstlerin zu resümieren: «History ist made everyday».
Karma International Zürich, bis 26. Januar 2019