DR.PHIl.I
KUNST- UND ARCHITEKTURHISTORIKERIN
AUTORIN
Pedro Reyes — Return to Sender

Ein ohrenbetäubendes Rattern, Knattern untermalt von Basstönen, Trommelschlägen und Xylophonklängen empfängt den Besuchenden in der Ausstellung. Der Sound stammt von einem mechanisierten „Waffen- und Instrumentenensemble“ zugleich, ausgerüstet mit einem Xylophon, Gitarren, Geigen, einer dreiflügeligen Harfe und einem Schlagzeug. Das automatisierte Orchester spielt ein zehnstündiges vorprogrammiertes Stück. Die Instrumente sehen recht exotisch aus, was kein Wunder ist, stammen sie doch aus den Waffen, die das Militär im mexikanischen Drogenkrieg konfiszierte. Der in Mexiko-Stadt lebende Pedro Reyes (*1972) sammelte diese, liess sie teilweise einschmelzen und transformierte sie zu Musikinstrumenten.

Schon in früheren Arbeiten hat Reyes mit Waffen gearbeitet, um systemische Probleme der Waffenindustrie aus einer pazifistischen Perspektive aufzuzeigen. 2007 entwickelte er das Projekt „Palas por Pistolas“ (Schaufeln für Waffen), für das er mit den lokalen Behörden von Culiacán zusammenarbeitete, um Handfeuerwaffen aus der Bevölkerung gegen Coupons für Haushalts- und Elektroartikel einzutauschen. Nach dem Motto „Schwerter in Pflugscharen verwandeln“ wurden die Waffen eingeschmolzen und zu 1’527 Schaufeln gegossen, um damit eine gleiche Anzahl von Bäumen zu pflanzen. Auch vor dem „Museum Tinguely“ wird demnächst eine neue Kastanie eingepflanzt werden. Wenig später konnte der Künstler für die Werkgruppe „Disarm“ im mexikanischen Drogenkrieg 6’700 konfiszierte Waffen verwenden, um sie zu Musikinstrumenten zu transformieren. In einer ersten Version schuf er Instrumente, die von befreundeten Musikerinnen und Musikern live bespielt werden konnten. In einem weiter gehenden Schritt entwickelte der Künstler die Konzeption eines mehrteiligen Ensembles „Disarm (Mechanized“) I, 2012-13 und II, 2014, das teils selbstklingend, teils elektrisch verstärkt, mechanisiert und automatisiert perkussive Musikstücke spielt.

Obwohl beide Projekte,“ Palas por Pistolas“ und „Disarm“, aus der spezifischen Situation des mexikanischen Drogenkrieges heraus entstanden, intendiert Pedro Reyes mit seinen Arbeiten die Waffenproduzenten- und -länder zu stigmatisieren, die er als die eigentlichen Übeltäter der weltweiten bewaffneten Konflikte und Kriege erachtet. Deren verbreiteter Mythos, dass es „nicht Waffen sind, die Menschen töten, sondern Menschen, die Menschen töten“ hält Reyes für eine zynische Haltung der Waffenproduzenten. Besonders wenn man bedenkt, dass gerade die waffenproduzierenden Länder dank Waffengewalt Afrika, Asien, Amerika und Ozeanien kolonialisiert, ausgebeutet und unterdrückt haben. Bekanntlich resultierten daraus desaströse Langzeitfolgen von systemischer Gewalt in diesen Gesellschaften. Nun lenkt Reyes mit drei massiv vergrösserten Musikdosen aus poliertem Messing die Aufmerksamkeit auf die Länder der Waffenherstellung. Die neu für die Ausstellung „Return to Sender“ geschaffenen „Disarm Music Boxes“ sind aus Waffenteilen umfunktionierte Musikspieldosen. Sie spielen bekannte, klassische Musikstücke aus den Herkunftsländern der Waffenfabrikanten. In einer Spieldose mit Waffenteilen von Glock-Pistolen erklingt eine Mozart-Symphonie, Vivaldi ertönt auf Läufen von Beretta-Pistolen und für die Melodie des bekannten Antikriegslieds „I han es Zündhölzli azündt“ des Schweizer Liedermachers Mani Matter hat Reyes Schweizer Karabiner gewählt. Damit sendet Reyes die transformierten Waffen an ihre Produktionsstätten zurück, die sich in mehrheitlich gewaltfreien, demokratischen Ländern wie Grossbritannien, Schweiz, Österreich oder Finnland und den USA befinden.

Mit der Aufforderung nach „radical problems demand radical solutions“ verbindet sich Reyes’ Glaube an eine Welt ohne Waffen. Die Reaktionen der Waffenlobby in den USA auf eine solche Utopie kann man sich leibhaftig vorstellen. Ohne naiv zu sein, hält Reyes es für eine moralische Frage, waffenproduzierende Unternehmen ins Visier zu nehmen. Er ist der Überzeugung, dass symbolische Gewalt die reale Gewalt ersetzen könne; so wenn beispielsweise Statuen von ehemaligen Sklavenhaltern umgestürzt würden. Seine radikal humanistisch und marxistisch ausgerichtete Haltung offenbarte sich, als der ursprünglich als Architekt ausgebildete Künstler von 1996 bis 2002 den Projektraum „Torre de los Vientos“ in Mexiko-Stadt betrieb und mit partizipativen Projekten auf sich aufmerksam machte. Sein soziales Engagement zeigte sich auch 2012 auf der documenta (13), wo sein Projekt „Sanatorium“ präsentiert wurde und ihn weltweit bekannt machte. Es handelte sich dabei um eine utopische, provisorische Klinik, in der typische Krankheiten von Städtern wie Stress, Einsamkeit oder Angstgefühle behandelt werden sollten. Mit Pedro Reyes steht der fünfte zeitgenössische Künstler im Dialog mit Tinguelys „Mengele-Totentanz“ von 1986. In einem von schrillen Tönen untermalten Totenreigen treffen sich die beiden Künstler in ihren aufrüttelnden Anklagen gegen Totalitarismus, Gewalt und sinnlosem Waffen aufrüsten.

 

Pedro Reyes — Return to Sender

Museum Tinguely, Basel, 24. Juni 2020—15. November 2020: in Kunstforum International, Bd. 270 Oktober 2020.

www.tinguely.ch