DR.PHIl.I
KUNST- UND ARCHITEKTURHISTORIKERIN
AUTORIN
Mit Haut und Haar. Körperkunst jetzt

Im Flur wird das Publikum vom Video von Lysann König (*1986, DE), das eine <Choreografie von Körperkonfigurationen (Der weibliche Körper als neutrale Form)>, 2022, empfangen. Sie nimmt damit Bezug auf die berühmte Fotoserie von Valie Export aus den 1970ern, passend zum Ausstellungskontext: In <Mit Haut und Haar> im Forum Schlossplatz greift die Kuratorin Lena Friedli den Titel einer Ausstellung auf, die 1995 im selben Haus die Körperkunst der 1970er-Jahre präsentierte. Damals wurden Performances von Marina Abramović, Valie Export, Natalia LL und Friederike Pezold gezeigt. Gleichzeitig fanden – wie heute – im Aargauer Kunsthaus Sammlungsausstellungen zur Kunst von Frauen statt. Während heute die Kunstgeschichte der weiblichen Kreativität beleuchtet wird, gedachte man 1995 mit <Karo Dame> der übersehenen Künstlerinnen.

Lyn Bentschik (*1992, CH), die verschiedentlich Performances von Marina Abramović reinszenierte, zeigt im Forum Schlossplatz eigene auf Video aufgezeichnete Performances. In <Schaufenster>, 2022, einem zur Fussgängerzone hinaus gerichteten Schaufenster, sieht man sie wie sie in wechselnden Arbeitskleidern verschiedene Identitäten annimmt und diverse Projektionsflächen bedient. Die Performances in den 1970ern waren ungeheuer provozierend; man denke nur an Valie Exports <Tapp- und Tastkino>, mit dem sie Passanten einlud, ihre Brüste durch einen als Fernseher umgebauten, vor ihren nackten Oberkörper geschnallten Karton, anzufassen, oder ihren Spaziergang mit ihrem Gefährten, den sie am Hundehalsband auf allen Vieren durch Wien schleifte. Heute dagegen fühlen sich Frauen viel weniger genötigt, zu provozieren, ihren Körper als Waffen oder als ostentativ erotisiertes Objekt einzusetzen, wiewohl die genderspezifischen Themen nach wie vor virulent sind. Doch sie sind nicht immer zentral: So ist das Video <how to see>, 2019, der französisch-schwedischen Künstlerin Lou Chavepayre (*1998) überhaupt nicht genderspezifisch. Als behinderte Person lässt sie uns die mitleidigen, gaffenden und verstohlenen Blicke spüren, die sie täglich streifen, wenn sie mit dem Rollstuhl unterwegs ist. Verständlich, dass sie dennoch wahrgenommen und begehrt werden und ihre engen körperlichen Grenzen überwinden möchte. In der Fotoserie <hands on>, 2020, die in kommunikativer Absicht verschiedene Gesten ihrer Hände vorführt oder in <absence de cul>, 2022, einem heizbaren Bronzeobjekt ihres Gesässes formuliert sie diese allgemein menschliche Sehnsucht.

in: Kunstbulletin Nr. 12 2022

Forum Schlossplatz Aarau, bis 8.1.2023     www.forumschlossplatz.ch