DR.PHIl.I
KUNST- UND ARCHITEKTURHISTORIKERIN
AUTORIN
Mario Sala — Frau Kern erhöht den Druck

Komplexität zieht sich als Leitmotiv durch Mario Salas multimediale Arbeiten. Sie sind das Kondensat seiner Erinnerungen, Erfindungen und Gedanken und erzeugen Spannungen zwischen den Objekten und ihrer Wahrnehmung. Entstanden ist eine atmosphärische Ausstellung, der etwas Filmisches eignet.

Mario Sala (*1965, lebt in Winterthur) liebt es, Geschichten in einer ganz eigenen Parallelwelt zu manifestieren. In seiner Ausstellung inszeniert er den Background für die abrupte Wahrnehmungsveränderung einer Frau. Das Geschehen schildert er in einem kurzen, begleitenden Text. Gleichzeitig nähert er sich diesem mit einer vielschichtigen, mehrteiligen Arbeit an, die zwischen Fiktion und Konkretion oszilliert. «Frau Kern» imaginiert er in Form eines Mobiles aus vielfarbigen, lackierten kreis- und ovalförmigen, etwas zerknüllten Aluminiplatten. Je nach Luftzug bewegt sich das Mobile von 2020 und mit ihm verändern sich ständig die Perspektiven. Salas Text ist zu entnehmen, dass sich während der Morgentoilette «der Puls» der Protagonistin erhöht, «sich der Deckel der Tagescrèmedose leicht anhebt» und ein bisschen «Salbe durch den Deckel» hervorquillt, welche Frau Kern in Form eines Auges anblickt. Das Auge ist als Pingpongball formuliert, der in einer kreisförmigen, massiven Stahlplatte eingelassen ist. Dass sich die Wahrnehmung im Inneren von Frau Kern verschiebt, ist daran auszumachen, dass «sie ihre eigenen Atemzüge in den Ohren hört», während sie sich «ihrem Herrgottsbild im Foyer» zuwendet und unvermittelt mit einer grossen Anzahl ähnlicher Bilder konfrontiert ist. Überflüssig zu erwähnen, dass sie davon überwältigt ist und sich von pulsierenden Bildern umgeben fühlt. Diesen Vorfall verdichtet Sala mittels einer Petersburger Hängung von kleinformatigen <Herrgott>-Bildern, 2017/18, sowie mit drei grossformatigen, den Ausstellungsraum in Beschlag nehmenden Bildern. Während die Herrgottsbilder von vorwiegend langbärtigen, weisshaarigen Männerfiguren bevölkert sind, schildern die grossen Werke eigentliche Alltagsszenen, die das Leben von «Frau Kern» gleichsam rahmen. <Bildnis 25>, 2018/19, stellt ein Fenster mit einem Augenloch dar, das seitlich von zwei Riesenhänden geöffnet wird. <Bildnis 34>, 2019/20, widergibt eine morgendliche Szene in einem Tram. Das von schillernden und vibrierenden Blautönen lebende <Bildnis 35>, 2019/2020, illustriert eine Badeszene.

In Salas Werken ist eine Strategie der Expansion angelegt, um die versteckte und unfassbare Seite des Gewöhnlichen zu evozieren. Die Arbeiten nehmen eigene sinnliche Formen und Realitäten an, ohne jedoch in eine endgültige Bildform gezwungen zu werden. Vielmehr scheinen die Bildebenen ineinander verschoben. Diese entsprechen unterschiedlichen Zuständen und Wahrnehmungen, die in eine filmische Dynamik übersetzt sind.

 

Galerie von Senger, Mario Sala — Frau Kern erhöht den Druck, 1, 22. 5 – 18. 7.                                                               www.nicolavonsenger.com