DR.PHIl.I
KUNST- UND ARCHITEKTURHISTORIKERIN
AUTORIN
Marc Camille Chaimowicz - «Dear Valerie...»

Die künstlerische Praxis von Marc Camille Chaimowicz vermittelt zwischen den angewandten und den bildenden Künsten. Geprägt von der Arts and Crafts Bewegung und dem Bauhaus, entwickelte der britisch-polnische Künstler eine ganz eigene, unverkennbare visuelle Sprache. Davon zeugt die als Zeitreise angelegte Ausstellung.

Fast vermeint man in eine Messe für retro-futuristisches Interior Design geraten zu sein. Marc Camille Chaimowicz (*1947, Paris, lebt und arbeitet in London) kombiniert verschiedene Medien wie Malerei, Zeichnung, Collagen und Fotografien, abstrakte Skulpturen mit Elementen der angewandten Kunst und der Innenarchitektur: oft unbrauchbaren Möbelstücken, Teppichen, fabulierend-fantasievollen Tapetenentwürfen und langen, mehrlagig übereinander geschichteten Vorhängen, Vasen oder Krügen. Es entstehen komplexe und raumgreifende Installationen, die auffallend von femininen Textilien in Pastellfarben sowie von feinen Formfindungen leben. Ein Arrangement verweist auf das Gesamtkunstwerk, das Chaimowicz für das in der Nähe von Basel gelegene Privathaus des Architekten Roger Diener realisierte.

Im Untergeschoss evoziert die Saalinstallation <Celebration? Realife Revisited>, 1972-2000, die melancholische Stimmung nach einer Party. Es war die Zeit als partizipative und performative Strategien in der Luft lagen und Chaimowicz entschied, von nun an nicht mehr zu malen, sondern das Prozessuale und die synästhetische Sinneswahrnehmung in den Vordergrund seines Schaffens zu stellen. Dies führt die Ausstellung vor Augen, die Arbeiten von den Siebzigerjahren bis heute versammelt und sich als eine Art Zeitreise entpuppt. Damals begann Chaimowicz, ein eigenständiges Werk mit einem multidisziplinären Ansatz zu entwickeln. Er verwischte die Grenzen zwischen öffentlicher Kunst, Privatleben und Design, Skulptur und Einrichtungsgegenstand, dem Femininen und dem Maskulinen, zwischen gestern und heute. Die bildende Kunst verschmolz er mit Choreografie, Regie und Kuratieren, würzte sie mit Literatur und Theater. In seinen Installationen inszeniert er fiktionale Lebenswelten, in denen er sich auf literarische oder reale Personen bezieht wie auf Emma Bovary oder Jean Cocteau. Immer wieder lädt er Gastkünstler ein und zeigt deren Werke, so hier Zeichnungen und Collagen von Nadia Wallis und Nancy Brooks Brody und eine Installation von Andréa Sparta.

Wiewohl seinen Arrangements anachronistische und melancholische Züge anhaften, sind sie unmittelbar verständlich. Chaimowicz ist ein Meister der verborgenen Anspielungen, die poetisch und metaphorisch aufgeladen sind. Davon sprechen auch seine handgeschriebenen Briefe, worauf der Ausstellungstitel verweist. Sie wirken intim und gleichzeitig konstruiert. Sie überraschen mit einer ungeheuren Offenheit, dank der Chaimowicz gewohnte Sichtweisen und Kategorisierungsmechanismen herauszufordern vermochte.

Kunsthalle Bern, <Marc Camille Chaimowicz, Dear Valérie …,> bis 26.April, 2020.

www.kunsthalle-bern.ch