DR.PHIl.I
KUNST- UND ARCHITEKTURHISTORIKERIN
AUTORIN
Jan Kiefer

Jan Kiefer beschäftigt sich vornehmlich mit Alltagsgegenständen und deren Geschichte und Bedeutung . Aus Handarbeitsmagazinen aus den 1970er und 1980er-Jahren entnimmt der Künstler einzelne Motive, welche beispielsweise die Errichtung eines Holzregals und das moderne, gesellige Wohnen mit ihnen vor Augen führt, ein selbstgewebtes Kissen mit Sonnenmotiv zeigt, oder selbstgefertigten Schmuck.

Diese Gegenstände stellt er oft selbst her mit Materialien, die sich sowohl in jedem Haushalt als auch im Baumarkt finden lassen. Dies sind besonders standardisierte Massenprodukte, wie Rasenteppiche, Dreischichtplatten, PVC-Böden und Wandpanelen. Mit ihnen verbindet der Künstler eine konzeptuelle Herangehensweise. So wenn er Bauernschränke zu skulpturalen Objekten umbaut und die Türen der Schränke mit Glasscheiben ersetzt, wie der in der Ausstellung präsentierte «Käse Kasten», 2017. Dadurch funktioniert das Objekt als Vitrine, und weist auf die Nutzungsspuren der ehemaligen Besitzer hin und mit einem Augenzwinkern auf den Minimalismus. Zudem steht es in der Tradition der Fallenbilder von Daniel Spoerri, einem Vertreter der französischen Künstlerbewegung des Nouveau Réalisme. Mit den auf Tischplatten fixierten Überresten einer Mahlzeit oder einer anderen zufällig vorgefundenen Situation fing Spoerri ein Stück Alltagswirklichkeit wie in einer Falle ein.

 

Das literarische Pendant zur Terrainsuche mittels Alltagsgegenständen sind die von Eugen Gomringer formulierten «Konstellationen». Sie finden sich als einfachste Gestaltungsmöglichkeiten von Wörtern in den beiden im Haus Konstruktiv gezeigten Acryl- und Lackbilder von 2018: Einerseits ein Seitenprofil, das durch ein umgestülptes J sowie andererseits eine frontale Gesichtsansicht, welche durch die Buchstaben N, e, I und n gebildet ist. Indem die Frontalansicht Nein zu verstehen gibt, und die hintere Kopfansicht Ja meint, eignet ihnen etwas Janusköpfiges. Damit wird eine völlig ambivalente Haltung zum Ausdruck gebracht. Die Dichter der sogenannten konkreten Poesie haben durch eine besondere Anordnung der Wörter viele Gedichte geschrieben. Eugen Gomringer, ihr Begründer, nennt sie «Konstellationen» einzelner Sätze, Wörter oder Buchstaben, die er für die einfachsten Gestaltungsmöglichkeiten der Dichtung hält. Mit der grafischen Anordnung des Textes soll seine inhaltliche Bedeutung unterstrichen oder ironisiert werden. Diese Prinzipien reagierten auf die Reduzierung von Sprache in einem durch eine schnelle Kommunikation geprägten 20. Jahrhundert.

 

Neben diesen Arbeiten erinnert auch «Na Ja», 2015, etwas an «Calligrammes», 1918, eine Gedichtsammlung mit zahlreichen Kalligrammen des französischen Schriftstellers Guillaume Apollinaire. Die zwei kleinen, an die Wand gelehnten roten Figuren — eine kauernd, die andere auf Kopf und den Füssen stehend, — zeigen in ihrer Körperhaltung mal ein «Na», mal ein «Ja». So entsprechen sie dem «Figurengedicht» als einem Gedicht, das nicht nur als «literarischer Text» funktioniert, sondern auch noch in optischer Hinsicht durch eine Formung des Textkörpers eine weitere Bedeutungsebene aufbaut. Denn als Titel «Na ja» gelesen in Kombination der voneinander abgewandten Figuren entblösst es den Beziehungsgrad der Figuren als sich nicht zugewandte Personen.