DR.PHIl.I
KUNST- UND ARCHITEKTURHISTORIKERIN
AUTORIN
Emma Kunz und Gegenwartskunst

Die Schweizer Künstlerin, Radiästhesistin, Naturforscherin und Heilpraktikerin Emma Kunz war nicht nur hellseherisch begabt, sondern liess als Künstlerin in visionäre Welten blicken. Die Kombination ihres Oeuvres mit zeitgenössischem Kunstschaffen verdeutlicht ihre immense Bedeutung für die heutige Zeit.

Eingangs gerät der Besuchende in ein Labyrinth, das widerhallt vom Klang tiefer Töne und scheinbar flüsternder Stimmen. Dabei soll es sich um den Ton des Kosmos handeln, der – von der NASA aufgenommenen – Schwingungen zwischen den neun Planeten unseres Sonnensystems wiedergibt. Die Installation von Roswitha Gobbo (*1989, Appenzell) schafft einen stimmigen Einstieg in die mystische Welt von Emma Kunz (1892, Brittnau -1963, Waldstatt). Formal lehnt sich die an Katakomben erinnernde Arbeit an die Konstruktion der aus dem 16. Jahrhundert stammenden Ziegelhütte an. Neben Gobbo setzen sich elf zeitgenössische Schweizer und internationale Kunstschaffende wie Mirjam Beerli, Vidya Gastaldon, Agnès Geoffray, huber.huber, Gilles Jobin, Georg Steinmann und Bernhard Tagwerker und andere vertieft mit Werk und Wirken von Emma Kunz auseinander. Auf die heilenden Potenziale von Kunst verweist Vidya Gastaldon (*1974, Besançon) mit der Serie der <Healing paintings> und <Healing objects>, 2019. Sie reanimiert gefundene Werke und bevölkert sie mit monströsen und anthropomorphen Figuren. Fasziniert von Emma Kunz’ spektakulären Experimenten, mittels einer Spiralpendelrute Blumen zu polarisieren, schufen huber.huber (*1975, Münsterlingen) die grossformatige Kohlezeichnung <Polarisierte Ringelblumen>, 2010/11. Mirjam Beerli (*1957, Basel) vertiefte sich in die Denk- und Arbeitsweise der Heilerin und erzeugt energetisierende, zwischen Präzision und Variation oszillierende Liniengeflechte, -gitter,–bündel.

Emma Kunz erkundete energetische Zusammenhänge und gewann ihre Erkenntnisse mit Hilfe des Pendels, welche sie auf Millimeterpapier festhielt. Entstanden sind so ihre berühmten, hochkomplexen geometrischen Arbeiten. Sie stellen eine Zeichensprache dar, die durch die Verwendung und dem Notieren von Zahlen rhythmisiert und modifiziert wird. Mitunter sind in den Kompositionen mit kristallinen, pflanzlichen und ornamentalen Formen menschliche Figuren in der Manier von Leonardo Da Vincis <Vitruvianischen Menschen> verstrebt. Ursprünglich dienten die Zeichnungen der Künstlerin als Diagnosemittel im hellseherischen, therapeutischen Prozess. Charakterisiert durch scheinbare Symmetrien und bestimmte farbige Zonen sollen sie aufgrund elektronischer Schwingungen eine heilende Wirkung haben.

Die Ausstellung mit einer konzentrierten Auswahl aus ihren über 400, zum Teil noch nie öffentlich präsentierten Zeichnungen, legt nahe, dass diese als bildnerische Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Forschungen auf pantheistischer Grundlage zu deuten sind.

Zahl, Rhythmus, Wandlung — Emma Kunz und Gegenwartskunst, Kunsthalle Ziegelhütte, Appenzell, bis 25. Oktober

www.kunsthalleziegelhuette.ch