DR.PHIl.I
KUNST- UND ARCHITEKTURHISTORIKERIN
AUTORIN
Christoph Haerle Malen mit Beton

Von weitem leuchtet und vibriert die fünf Meter hohe und sechzig Meter lange farbige Betonmauer vor dem neuen Bürgerspital Solothurn. Kaum zu glauben, dass sie aus Beton besteht, lebt sie doch von unterschiedlichen Farbwolken, welche eine räumliche Tiefe und eine überraschende Leichtigkeit bewirken. Der Architekt und Künstler Christoph Haerle (* 1958, Zürich) ging bis an die Grenze des Machbaren in der Betonverarbeitung, nachdem er den Zuschlag für sein Projekt zur Gestaltung der Eingangsmauer des neuen Bürgerspitals Solothurn, erhalten hatte. Die Betonwand wird nicht einfach bemalt, sondern sie wird aus farbigem Beton gebaut. Eine enorme Schwierigkeit bestand darin, dass der Beton je nach Farbpigment anders abbindet, was die Wahl des richtigen Betons erfordert, um seine Beweglichkeit zu gewährleisten. Die auf dem Baugerüst neben dem Künstler stehenden Bauarbeiter füllen den farbigen Beton mithilfe von grossen Schläuchen aus einem Betonmischer in das Metallgitter, sodass die diversen farbigen Betonschichten aufgesetzt und ineinander verarbeitet werden. Haerle gibt dabei die Anweisungen, ab welchem Betonstand die Farbe gewechselt werden muss. Blau, Rot, Gelb, dann wieder Blau. Schon seit 1993 ersetzt der als Steinbildhauer und ETH-Architekt ausgebildete Haerle bei seinen Wandobjekten den grauen durch farbigen Beton. Durch die Einfärbung des Betons und die Behandlung der Oberfläche mit einem Betonsiegel tritt der Werkstoff in den Hintergrund. Die Mauer kontrastiert mit der «Brise Soleil»-Fassade des von Silvia und Reto Gmür entworfenen Neubaus. Sowohl ihre Architektur wie Haerles Wand zeigen den Umgang mit Beton in einer hochentwickelten Weise. Die vorfabrizierten «Brise Soleil» gehen sehr weit in der Präzision der Betonverarbeitung und erweisen sich als Meisterleistung an Exaktheit und Kontrolle. Für Haerle bedeutet diese Arbeit an diesem Ort und im Gespräch mit diesem Gebäude eine wichtige dialogische Komponente, zumal die Architektur sich diesen Kontrollverzicht nicht leisten kann. Das ist nur in einer künstlerischen Arbeit möglich mit einem nicht ganz kontrollierbaren Ergebnis. In der Ausstellung sind Entwurfsmaterial, Pläne, ein dokumentarischer Film über das Projekt, Nagellackbilder und Objekte zu sehen, die im neuartigen Betonverfahren entstanden sind. Sie visualisieren Haerles aufwändige Vorarbeit im Prozess von der Idee, mit Beton zu malen, über die Planung bis schliesslich zur Realisierung mit einem Team von Experten und Maschinisten. Daraus wird vornehmlich ersichtlich, dass die farbige, auf den Neubau führende Betonmauer den Eingangsbereich nicht nur definiert, sondern diese räumliche Erschliessung klärt und damit diesem Platz Bedeutung verleiht.

Galerie und Edition Stephan Witschi, Zürich; 6. Juni   bis 13. Juli   www.stephanwitschi.ch