DR.PHIl.I
KUNST- UND ARCHITEKTURHISTORIKERIN
AUTORIN
Asta Gröting — Where do you see yourself in 20 Years?

Mit multimedialen, anatomischen Plastiken, Skulpturen und Installationen thematisiert Asta Gröting Verdrängtes, existentielles Ausgesetztsein. Während sie physische, seelische und emotionale Vorgänge offenlegt, spürt sie in aufwändigen skulpturalen Prozessen architektonischen und historischen Spuren nach.

 

Am Boden weisen zwei überdimensionale bronzene Füsse mit darin steckenden Turnschuhen auf die Ausstellung im Salle Poma hin. Sie sind Auguste Rodins Plastik der Bürger von Calais nachgebildet, die sich gemäss der Chronik von Jean Froissart freiwillig als Geiseln zur Verfügung stellten, um der bedingungslosen Kapitulation und damit der Plünderung und Zerstörung von Calais während des Hundertjähriges Krieges zu entgehen. Mit «The Feet of Eustache de Saint Pierre», 2015, fragt Asta Gröting (*1961, D) nach der sozialen Verantwortung damals wie heute, worauf auch der Ausstellungstitel anspielt.

In den Galerien geht es ans Eingemachte, so wenn die deutsche Künstlerin einen Darm aus Silikon anatomisch richtig auf den Boden legt, Nervenbahnen von Händen aus Holz schnitzt oder einen Schlafsack so drapiert, dass er sowohl das Schützende als auch das Ausgesetztsein suggeriert und nebenbei auf das kunsthistorische Motiv liegender nackter Frauenfiguren hinweist.

Brachial und eindrücklich kommt die Serie von Silikonabformungen von Fassaden von im Zweiten Weltkrieg zerstörter und noch bestehender Häuser in Berlin-Mitte daher. Sie bestehen aus Silikon und bilden alle Einschusslöcher genau ab. Der Abformungsprozess funktioniert wie eine fotografische Langzeitbelichtung. Eigentlich wiedergeben die grossformatigen Silikonplatten vom Krieg gezeichnete Gesichter, zumal man von hinten durch die Löcher in die Welt blickt, so als ob man die Wand selber wäre. Auch schälen die Fassaden die sich ablagernden Zeitschichten heraus. Mit dieser Serie kämpft Asta Gröting gegen die Verdrängung der Geschichte, die sich darin äusserte, die Häuser möglichst schnell durch nichtssagende Gebäude zu ersetzen.

Ein wenig ist man dabei an die Häutungen von Räumen der Plastikerin Heidi Bucher aus den Siebzigerjahren erinnert. Im Prozess des Häutens lebte sie den schmerzvollen Loslösungsprozess von Konventionen und anderen fremdbestimmten Zwängen nach. Während Heidi Bucher auf ihrer Selbstsuche die mit einer Kautschukmasse beschichteten Räume wie eine Haut ablöste, kam das Innere, das Verdrängte an die Oberfläche; wirkt doch der losgerissene Hautraum wie eine abgestorbene, von einem spukhaften Eigenleben erfüllte Larvenhaut. Vergleichsweise erstellt Asta Gröting eine Art von Autopsie über Intimität und gemahnt an den sprechenden Raum zwischen stummen Personen, sprich die Unfähigkeit des Menschen über heikle Dinge zu kommunizieren, wenn sie in «Space Between Lovers/Unfolded», 2008, den Raum zwischen einer Frau und einem Mann während des Geschlechtsakts mit Silikon abformt.

Asta Gröting — Where do you see yourself in 20 Years? Centre PasquArt, Biel, bis 24.11.

www. pasquart.ch